Der Käufer eines Fahrzeugs mit iSd Art 5 Typgenehmigungs-VO unzulässiger Abschalteinrichtung kann gegenüber dem Hersteller wahlweise Schadenersatz in Form der Zug-um-Zug-Rückabwicklung oder Geldersatz in Form des Minderwerts verlangen. Der Schaden ist objektiv-abstrakt zu ermitteln. Dass der Käufer das Fahrzeug bei entsprechender Aufklärung (nicht nur nicht um den gezahlten Preis, sondern gar) nicht erworben hätte, ist nicht von Relevanz.

Der Schadenersatz ist ohne Einholung von Sachverständigengutachten iSd § 273 Abs 1 ZPO innerhalb einer Bandbreite von 5% und 15% des Kaufpreises festzusetzen. Liegt kein Minderwert vor, ist der zu zahlende Betrag im unteren Bereich der Bandbreite festzusetzen.

bearbeitet von Petra Leupold und Beate Gelbmann

Die Entscheidung (Zusammenfassung)

Der Kl kaufte im April 2017 einen von der bekl Herstellerin produzierten Gebrauchtwagen (Kilometerstand ca. 94.500, Erstzulassung im September 2014) um € 31.000,-. Das Fahrzeug ist mit einem 3.0-1-V6-Dieselmotor mit 150 kW/204 PS, Motortyp EA897 ausgestattet, bei dem nur zwischen 17 und 33 Grad Celsius eine volle Abgasrückführung erfolgt, weswegen eine nach Art 5 Abs 2 Typgenehmigungs-VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Der Kl hätte kein Fahrzeug gekauft, das nicht den EU-Abgasnormen entspricht, auch nicht zu einem günstigeren Preis. Er klagt aus dem Titel des Schadenersatzes auf Zahlung von € 9.300,- (30% des Kaufpreises) und die Feststellung der Haftung für jeden zukünftigen Schaden aus dem Kauf und der unzulässigen Abschalteinrichtung.

Ersatzfähigkeit des Minderwerts

Der Käufer kann gegenüber dem Hersteller eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung Geldersatz in Form der Zug- um-Zug-Abwicklung verlangen. Ein solcher Anspruch folgt dem Zweck der übertretenen Normen, (auch) das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung zu schützen. Dies schließt allerdings die Geltendmachung eines Minderwerts des Fahrzeugs nicht aus. Die Regelungen zur Übereinstimmungsbescheinigung stellen nach dem EuGH eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Hersteller und dem individuellen Erwerber her, woraus sich der Schutzgesetzcharakter der übertretenen Normen ergibt (EuGH C-100/21, Mercedes-Benz Group AG, Rn 82). Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass sich das rechtswidrige Handeln des Herstellers in einer Aufklärungspflichtverletzung erschöpft, weil eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung den Inhalt haben muss, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung den einschlägigen unionsrechtlichen Normen entspricht (Art 3 Z 36 Rahmen-RL 2007/46/EG) und Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (dieses Inhalts) zulässig wäre (Art 26 Rahmen-RL). Selbst eine wahrheitsgemäße Aufklärung durch den Hersteller könnte an der objektiven Rechtswidrigkeit des Inverkehrbringens des Art 5 Typgenehmigungs-VO widersprechenden Fahrzeug nichts ändern, weil der Erwerber gegen den Hersteller einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.

Kein Kausalitätserfordernis

Da es in diesem Fall nicht um eine Rückgängigmachung der Vermögensverfügung bloß aufgrund einer Aufklärungspflichtverletzung geht, sondern unionsrechtlich vorgegeben ist, dass der Schaden bereits in der Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit liegen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, steht die im Verfahren getroffene Feststellung, dass der Kl das Fahrzeug bei entsprechender Aufklärung (nicht nur nicht um den gezahlten Preis, sondern gar) nicht erworben hätte, dem Anspruch nicht entgegen.

Schaden trotz aufrechter Typengenehmigung 

Die Bekl verneint das Vorliegen eines Schadens, weil eine aufrechte Typengenehmigung vorliege, sodass sich ein Schaden noch nicht realisiert habe. Als nachteilige Folge - vor der ein Käufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll - sieht der EuGH allerdings an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalt-einrichtung die Gültigkeit der EG-Typengenehmigung und da-ran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (ua) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich" zu einem Schaden fuhren kann. Der EuGH bejaht damit abschließend den Eintritt eines objektiv-abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags. Im Fall des Erwerbs eines mit einer iSd Art 5 Typgenehmigungs-VO unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das - den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden iSd § 1293 ABGB bildende - geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit.

Schadenshöhe und Schadensschätzung Hinsichtlich der Höhe des Ersatzanspruchs wäre zu berücksichtigen, dass nach dem Vorbringen des Kl der Kaufpreis dem Wert des vereinbarten (mangelfreien) Fahrzeugs entsprach, was von der Bekl nicht bestritten wurde. Die Berechnung des Schadenersatzanspruchs anhand der Differenz zwischen dem Wert des mangelfreien Fahrzeugs und jenem des mangelhaften Fahrzeugs (§ 1323 ABGB; vgl RS0030236; s auch BGH Via ZR 335/21, VI ZR 40/20) oder unter Anwendung der relativen Berechnungsmethode, wonach sich der vereinbarte Preis zum geänderten Preis so verhalten muss wie der Wert der Sache ohne Mangel zum Wert der Sache mit Mangel (so 5 Ob 100/22z), würde daher im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis führen.

Im vorliegenden Fall sind allerdings primär die unionsrechtlichen Anforderungen an die Ersatzleistung zu beachten: Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der Typgenehmigungs-VO wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren, den der BGH innerhalb einer Bandbreite von 5% (aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität als Untergrenze) und 15% (aus Gründen unionsrechtlicher Verhältnismäßigkeit als Obergrenze) des Kaufpreises annimmt (Via ZR 335/21). Dabei wird durchaus in Kauf genommen, dass potentiell umweltschädigende Fahrzeuge nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern weiter verwendet werden.

Schadensschätzung: zwischen 5 und 15% des Kaufpreises, auch bei Nichtvorliegen eines Minderwerts des Fahrzeugs.

Diese Vorgaben können für das österr Recht übernommen wer-den, sodass das ErstG den zu ersetzenden Betrag iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung - selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises - innerhalb einer Bandbreite von 5 und 15% des vom Kl gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen hätte. Dem Einwand, dass ein Ersatz von (höchstens) 15% dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht entspreche, ist - jedenfalls für das österr Recht - zu entgegnen, dass dem Kl, der das Fahrzeug bei Kenntnis des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte, auch der Anspruch auf Zug-um-Zug-Abwicklung zur Verfügung stünde; dieser würde den unionsrechtlichen Vorschriften, die überhaupt gegen den (Weiter-)Betrieb eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs sprechen, noch mehr zur Durchsetzung verhelfen.

Ein allfälliges Parteivorbringen, dass Fahrzeuge auch nach Kenntnis des „Abgasskandals ‘ (insb am Gebrauchtwagenmarkt) zum gleichen Preis wie vor dieser Kenntnis gehandelt wurden, wäre bei der Ermittlung des Schadenersatzbetrags nach § 273 Abs 1 ZPO aufgrund der genannten unionsrechtlichen Vorgaben, einen angemessenen Betrag zu ermitteln, ohne Bedeutung und somit auch kein Grund für die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Stünde aber das Nichtvorliegen eines Minderwerts fest oder wäre dies unstrittig, wäre dies ein Grund dafür, den zu zahlenden Betrag im unteren Bereich der Bandbreite festzusetzen.

Verschulden

Eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung setzt ein „Verschulden“ im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraus, es kommt aber zu einer Beweislastumkehr: Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein „Verschulden“ trifft. Allfällige Negativfeststellungen gehen daher zu Lasten der Bekl.

Die Rechtssache ist hinsichtlich des Verschuldens noch nicht spruchreif. Die Bekl stützte sich darauf, dass sie unverschuldet von der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung ausgegangen sei, weil sie auf die Richtigkeit der Vorgangsweise des zuständigen dt Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vertrauen habe dürfen; eine spätere Interpretation der einschlägigen Vorschrift durch den EuGH vermöge an der zum Genehmigungszeitpunkt vertretbaren Einschätzung der Bekl nichts zu ändern.

Nach § 2 ABGB kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm ein gehörig kundgemachtes Gesetz nicht bekannt sei. Das Gesetz ist daher ohne Rücksicht auf die Kenntnis der davon Betroffenen anzuwenden. Daraus ist aber nicht zu folgern, dass eine solche Unkenntnis für sich allein schon ein Verschulden bedeuten muss. Die Unkenntnis verwaltungs-rechtlicher Vorschriften begründet ein Schadenersatzansprüche auslösendes Verschulden nur dann, wenn die im besonderen Fall gebotene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen wurde (RS0008651). Zwar ist jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt aber nur dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn also bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RSOO13253). Ein Rechtsirrtum ist nach der Rsp dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf die Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T 9]). Im gegebenen Zusammenhang wäre überdies erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde - aus der Sicht der Bekl - bekannt war (vgl 2 Ob 152/21 y), uzw ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann.

Zur Beurteilung, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, bedarf es somit Feststellungen darüber, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse, welche der Bekl zurechenbare Personen darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war.

OGH: Der Schadenersatz für den „Minderwert“ des Fahrzeugs ist bei Fahrlässigkeit des Herstellers ohne Sachverständigengutachten nach $ 273 Abs 1 ZPO festzulegen. Die Untergrenze von 5% gilt auch, wenn feststeht, dass kein Minderwert vorliegt.

Sollte sich dabei ergeben, dass die Bekl einem Rechtsirrtum unterlag, der nicht durch ein Vertrauen auf eine behördliche Entscheidung gerechtfertigt war (etwa weil bis zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Entscheidung ergangen ist oder der Behörde nicht die konkrete Abschalteinrichtung mit sämtlichen zur Beurteilung erforderlichen Parametern offengelegt worden war), wäre weiters zu prüfen, ob die Bekl - wie sie außerdem behauptete - die Kenntnis der (richtigen) Rechtslage bei Anwendung gehöriger Sorgfalt überhaupt in zumutbarer Weise erlangen hätte können. Das wäre etwa zu verneinen, wenn sie einem Rechtsirrtum unterlag und dieser auch bei hypothetischer Einholung einer behördlichen Entscheidung unter vollständiger und wahrheitsgemäßer Offenlegung des maßgeblichen Sachverhalts nicht ausgeräumt worden wäre, weil die Behörde die unrichtige Rechtsansicht der Bekl geteilt hätte.

Unterlag die Bekl iSd vorstehenden Ausführungen einem entschuldbaren Rechtsirrtum (was auch die Berechtigung der weiters geltend gemachten Anspruchsgrundlagen einer arglistigen Irreführung iSd § 874 ABGB und einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung beseitigen würde), wären die Klagebegehren abzuweisen. Läge hingegen kein entschuldbarer Rechtsirrtum vor oder verblieben diesbezügliche Zweifel, wäre das Leistungsbegehren dem Grunde nach berechtigt.

Kein Feststellungsbegehren

Hinsichtlich des vom Kl erhobenen Feststellungsbegehrens wird 10 Ob 17/23 g zu beachten sein, nach der mit einem allfälligen Softwareupdate verbundene Schäden im Bereich des Abgasrückführsystems die Gültigkeit der EG-Typengenehmigung oder der Übereinstimmungsbescheinigung nicht in Frage stellen und keine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit der Fahrzeugnutzung mit sich bringen und somit nicht vom Schutzzweck der hier gegenständlichen unionsrechtlichen Schutzgesetze erfasst sind.

Für den vom Feststellungsbegehren weiters als zukünftiger Schaden erfassten Entzug der Zulassung haftet die Bekl ebenso wenig, weil das Risiko des Entzugs der Zulassung bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt. Dadurch wird letztlich jener Zustand hergestellt, der bei Kenntnis vom Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen würde. Aufgrund der Entscheidung des Erwerbers, das Fahrzeug in seinem Vermögen zu behalten und nicht die nach österr Recht mögliche Zug-um-Zug-Abwicklung, sondern den Ersatz des Minderwerts zu begehren, geht er das Risiko des - von ihm als möglich angesehenen - Zulassungsentzugs vielmehr bewusst ein. Der Umstand, dass sich dieses Risiko in weiterer Folge verwirklicht, ist daher nicht zusätzlich zum dadurch geminderten Wert des Fahrzeugs bei Vertragsabschluss er-satzfähig, sondern damit bereits abgegolten. Welche anderen, noch nicht abgegoltene und derzeit nicht bezifferbare Schäden aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens der Bekl eintreten könnten, lässt sich dem Vorbringen des Kl (bislang) nicht entnehmen.

Praxistipp

Petra Leupold und Beate Gelbmann

  • Bestätigung von 10 Ob 2/23a VbR 2023/43, wonach Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46/EG iVm Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB zugunsten der individuellen Autokäufer sind, der ersatzfähige Schaden bereits mit dem Erwerb eintritt und die Unsicherheit hinsichtlich der Nutzbarkeit des Fahrzeugs im Rechtswidrigkeitszusammenhang liegt. Vgl zuvor EuGH C-100/21, Mercedes- Benz Group AG, VbR 2023/2; ebenso nun BGH Via ZR 335/21; aA Kletečka, ÖJZ 2023/64.
  • Der 10. Senat stellt klar, dass der Ersatzanspruch des Käufers gegenüber dem Hersteller wahlweise auf die Rückabwicklung des Kaufs (Rückzahlung des KP Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Autos; vgl 10 Ob 2/23 a VbR 2023/43; 6 Ob 150/22 k; 10 Ob 17/23 g) oder auf den Ersatz des Minderwerts (Geldersatz, „schadenersatzrechtliche Preisminderung“; vgl 5 Ob 100/22z VbR 2023/15) gerichtet sein kann. Anders als nach dem BGH, der die Rückabwicklung als Alternative zum Geldersatz nur bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zulässt (Via ZR 335/21 VbR 2023/60), kommt dem Käufer das Wahlrecht zwischen Rückabwicklung und Ersatz des Minderwerts auch bei bloßer Fahrlässigkeit zu. Im ersteren Fall hat sich der Käufer im Rahmen des Vorteilsausgleichs ein Benützungsentgelt auf Basis einer zeitanteiligen linearen Wertminderung anrechnen zu lassen (10 Ob 2/23 a VbR 2023/43; 2 Ob 5/23 h); ggf ist nach § 273 Abs 1 ZPO eine „Angemessenheitskorrektur" vorzunehmen (3 Ob 121/23z: statt € 4.700,- Erhöhung auf mindestens den aktuellen Zeitwert des zurückzugebenden Fahrzeugs iHv € 9.000,-). In letzterem Fall ist der Ersatzanspruch nach der vorliegenden Entscheidung unabhängig vom Vorliegen eines Minderwerts gern § 273 Abs 1 ZPO auf 5 bis 15% zu schätzen (ebenso BGH Via ZR 335/21 VbR 2023/60). Für die Vereinbarkeit der Obergrenze von 15% mit dem Effektivitätsgrundsatz verweist der OGH auf die (anders als nach BGH Via ZR 335/21 VbR 2023/60: auch bei Fahrlässigkeit) mögliche Naturalrestitution (Zug-um-Zug-Rückabwicklung), die iaR auch bei längerer Nutzungsdauer - trotz Anrechnung eines Benutzungsentgelts - zu einem höheren Ersatz führt. Offen ist, ob die Obergrenze beim Geldersatz nicht nur - wie hier und auch im vom BGH entschiedenen Fall - für die Haftung aus Fahrlässigkeit gelten soll, sondern auch bei Vorsatz (§§ 874, 1295 Abs 2 ABGB) und ob ein höherer Zuspruch geboten ist, wenn feststeht, dass der Minderwert höher als 15% ist.
  • Sind die geschädigten Käufer Verbraucher, dürften diese vom Gericht nach Aufklärung über die damit jeweils verbundenen Rechtsfolgen gern §§ 182,432 ZPO (per analogiam) zur möglichen Änderung ihres Klagebegehrens - auf Rückabwicklung statt Geldersatz - ohne Kostenfolgen anzuleiten sein (arg effet utile> zur umgekehrten Konstellation im Gewährleistungsrecht, dh Preisminderung statt Wandlung EuGH C-32/12, Duarte Hueros, VbR 2013/39; 6 Ob 240/19s; zur Anpassung des Begehrens im Pauschalreiserecht EuGH C-83/22, Tuk Tuk TravelVbR 2023/127, in diesem Heft auf Seite 188; zu den erweiterten Manuduktionspflichten des Gerichts C-19/20, IW und RW/Bank BPH S.A.; dies gilt auch bei Inkassozession: 6 Ob 105/21 s VbR 2022/20; näher dazu Leupold in Kodek/Oberhammer, ZPO § 432 Rz 14 ff mwN).
  • Re Verschulden vgl 3 Ob 121/23 z, wonach aus dem „vagen“ und „keinesfalls ausreichenden“ Vorbringen der Bekl kein entschuldbarer Rechtsirrtum abgeleitet werden kann. Zu 10 Ob 2/23 a VbR 2023/43 hatte die Bekl nur vorsätzliches Handeln in Abrede gestellt, sodass Fahrlässigkeit als zugestanden angesehen wurde.
  • Re Abweisung des Feststellungsbegehrens bestätigt der 10. Senat einerseits 10 Ob 17/23 g, wonach typische Schäden am Fahrzeug, die durch das Software-Update verursacht werden (Ruckein, Mehrverbrauch etc), nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem Verstoß gegen Art 5 Abs 2 Typgenehmigungs-VO stehen und ein Schadenersatzanspruch für dadurch entstandene Reparatur- und Wartungskosten auch nicht auf arglistige Irreführung (§ 874 ABGB) oder vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 1295 Abs 2 ABGB) gestützt werden kann. Andererseits stellt der OGH klar, dass der mit einer zukünftigen Fahrzeugstilllegung verbundene potentielle Zulassungsentzug bereits im Schadenersatzbetrag einzupreisen und daher bei dessen Höhe zu berücksichtigen ist, sodass ein Zuspruch einer Haftung für Spät- und Dauerfolgen daneben nicht gebührt.
  • Zur Rechtsschutzdeckung iZm Ansprüchen gegen den Her-steller s zuletzt 7 Ob 104/23 d: Deckung nach Art 21.2.1. ARB 2015 für den am 22. 1. 2020 erworbenen gebrauchten Skoda Octavia (Erstzulassung im April 2014, Schadensmeldung am
  • 10. 2021); 7 Ob 45/23b, wonach der Deckungsabgrenzungsabschluss nach Art 21.3.2.1. ARB 2015 hier nicht zum Tragen kommt; 7 Ob 95/21 b VbR 2023/22; 7 Ob 32/18h VbR 2018/111; 7 Ob 133/21 s; 7 Ob 167/22t; 7 Ob 206/19y; 7 Ob 213/20 d. Ausf dazu Riedler,VbR 2022/5.

Anmerkung

Dr. BENEDIKT WALLNER ist als Rechtsanwalt in Wien an vielen Verfahren im Abgasskandal auf Klägerseite beteiligt.

Sucht man im Netz nach „Well, I'll be darned. I guess he does have a licence to do that" findet man den bekannten Cartoon, in dem zwei Polizisten die Papiere eines verkleideten Verrückten kontrollieren, der gerade wahllos Passanten mit einem Hammer niederstreckt. Damit zieht Gary Larson grotesk ins Lächerliche, wo der „entschuldbare Verbotsirrtum" seine natürliche Grenze hat - ungeachtet dessen, ob irgendeine Behörde das offenkundig rechtswidrige Verhalten lizensiert haben sollte. Auch der 10. Senat kennt seine Far Side Gallery, zumindest aber den common sense. 10 Ob 27/23b stellt daher zunächst hohe Hürden für den absurden, aber erwartbaren Einwand einer Herstellerin auf, dass sie „unverschuldet von der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung ausgegangen sei, weil sie auf die Richtigkeit der Vorgangsweise des zuständigen KBA habe vertrauen dürfen“. Das sei zwar trotz des strengen Maßstabs, der stets an die Beurteilung der Frage anzulegen ist, ob dem Normunterworfenen iSd § 2 ABGB die Kenntnis einer bestimmten Vorschrift unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar war (RIS-Justiz RS0008663), nicht gänzlich unbeachtlich, aber:

Für ein exkulpierendes schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit der behördlichen Entscheidung wäre erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde vor ihrer Entscheidung bekannt war (Rn 34). Der Entlastungsbeweis wäre darüber zu fuhren, (i) zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des gegenständlichen Fahrzeugs) (ii) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse (iii) welche der Beklagten zurechenbare Personen (iv) darauf vertrauen durften (v) und auch konkret darauf vertraut haben, (vi) dass und (vii) warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war(Rn 35). Hinzu kommt noch der Beweis darüber, (viii) dass die Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag (Rn 34) sowie (ix), ob sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften (nicht) bekannt gemacht hat, obwohl er nach seinem Beruf seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre (vgl 4 Ob 2/11 i ua): Zu verlangen sein wird daher ein Memorandum der Bekl oÄ, das bereits vor Inverkehrbringen des jeweiligen Fahrzeugs datiert ist und aus dem hervorgeht, dass und warum sie damals in Kenntnis der engen Ausnahmebestimmungen von der Zulässigkeit der gewählten Abschalteinrichtung ausgeht.

Der Entlastungsbeweis könnte schwer werden, trotz der im Typgenehmigungsverfahren seit Mai 2016 geltenden Verpflichtung zur „Offenlegung“ der Emissionsstrategien (Art 5 Abs 11 VO [EG] 692/2008 idF VO [EU] 2016/646): Weiterhin wird von den Herstellern lediglich deren Sicht der Dinge gefordert, nämlich eine „Erklärung über das Nichtvorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen“ oder eine „Beschreibung der Emissionsminderungsmaßnahmen“ Das ist es, was die Behörde prüft; PEMS-Messungen sind nur im Zweifel durchzuführen (vgl KBA IST Typgenehmigungsverfahren Nr 01-16 v 24. 5. 2016, lf). Das Bescheidergebnis, auf das sich die Bekl beruft, gibt also von vornherein keine Auskunft über die Beschaffenheit der „konkreten Abschalteinrichtung“. Niemand kennt bisher die von den Herstellern geheim gehaltenen Quellcodes mit acht Mio Code-Zeilen und mehr, auch das KBA nicht, das über weit weniger technische und rechtliche manpower verfügt als jede Herstellerin.

Verletzungen des in Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 statuierten Regel-Ausnahme-Prinzips sind ohne Vorsatz kaum denkbar. Bei vorsätzlicher Missachtung einer im Gesetz deutlich formulierten Pflicht kann aber ein entschuldbarer Irrtum nicht bestehen (RS0008654). Auch der ursprüngliche Einbau der Umschaltlogik, die mit dem „Thermofenster“ beseitigt wurde, geschah vorsätzlich.

Bei den für Schadenersatz ausreichenden (10 Ob 2/23 a VbR 2023/43) fahrlässigen Begehungsformen gilt der erhöhte Sorgfaltsmaßstab nach § 1299 ABGB, quasi eine Garantiehaftung oder diligentia exactissima (RS0054822): Als Sachverständige hat die Herstellerin auch dann einzustehen, wenn ihr gerade wegen ihrer mangelnden Fähigkeiten kein subjektiver Vorwurf gemacht werden könnte (RS0022711). Die Frage ist also, ob der Herstellerin bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt erkennbar war, dass ihre jeweils gewählte Abgasstrategie nicht mehr unter die gesetzliche Ausnahme fällt. Will man dem Unionsgesetzgeber, dessen unmittelbarer Normadressat die Herstellerin war und nicht das KBA, nicht völlige Unverständlichkeit unterstellen, muss das iaR bejaht werden.

Dazu kommt, dass sie den Schaden auch jetzt nicht behebt. Spätestens nachdem ihr Irrtum vom EuGH beseitigt wurde (Rn 33), wäre ja ihr behaupteter Entschuldigungsgrund weggefallen.

Wenn dann noch in Rn 36 der hypothetische Bescheid Entschuldigungswirkung entfalten soll, wenn also der Irrtum „auch bei hypothetischer Einholung einer behördlichen Entscheidung unter vollständiger und wahrheitsgemäßer Offenlegung des maßgeblichen Sachverhalts nicht ausgeräumt worden wäre, weil die Behörde die unrichtige Rechtsansicht geteilt hätte“, wird dem straffen Zivilprozess kein Dienst erwiesen: Nun müssen die Zivilgerichte in tausenden hypothetischen „Inzidentverfahren“ (RS0115755) verwaltungsrechtlich nachbilden, wie die jeweilige ausländische Behörde im Einzelfall entschieden hätte; das KBA ist ja nur eine von vielen Genehmigungsbehörden.

Das ist auch für andere Rechtsgebiete brisant, etwa das Umweltprivatrecht: Man stelle sich vor, ein Betreiber fragt die lokale Behörde, ob seine Anlage der RL 2012/18/EU ("Seveso III") entspricht. Die (damit möglicherweise überforderte) Behörde antwortet materiell falsch oder auch gar nicht. Nach einem Störfall wendet der Betreiber, der auf Ersatz geklagt wird, (hypothetischen) Rechtsirrtum ein: Exkulpiert ihn der (hypothetische) Feststellungsbescheid trotz Verletzung eines Schutzgesetzes? Wobei: Mit Feststellungsbescheiden argumentieren die Hersteller gar nicht. Nach österr Recht ist ein Feststellungsbescheid auch nur dann zulässig, wenn er entweder im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist oder wenn eine gesetzliche Regelung hierüber zwar nicht besteht, die Erlassung eines solchen Bescheids aber im öffentlichen Interesse gelegen oder für eine Partei ein notwendiges Mittel zweckverfolgender Rechtsverteidigung ist (vgl VfGH 27.6.2018, KI1/2018 uva; Feststellungsbescheide sind im dKBAG nicht ausdrücklich vorgesehen). Im Übrigen wäre dann die insofern übertragbare Wertung des § 364 a ABGB zu berücksichtigen, wonach bei behördlicher Genehmigung von Anlagen ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch greift, zumal den geschädigten Käufern nach dem EuGH - anders als beeinträchtigten Grundbesitzern - sogar „Abwehransprüche“ auf Erfüllung zustehen müssen.

Man ahnt, dass sich mit dem Effektivitätsgrundsatz (EuGH C-100/21) nicht vereinbaren lässt, wenn regelmäßig kein Schadenersatz gebührt, weil das KBA sämtliche Abgasstrategien genehmigt hat oder hypothetisch genehmigt hätte, obwohl sie materiellrechtlich verboten sind. So erscheint das nächste zeitraubende Vorabentscheidungsverfahren vorprogrammiert, auch wegen der gleichlautenden Wertung in BGH VIa ZR 335/21, Rz 62ff). Bei der wohlwollenden Behandlung, die der BGH den Herstellern angedeihen lässt, denkt der österr Leser unwillkürlich an Friedrich Torbergs „Exzellenzen prüfen“. Für den OGH bräuchten die Hersteller keine Exzellenzen zu sein, für den EuGH sind sie es ohnehin nicht. In Deutschland muss der Verbotsirrtum aber „unvermeidbar“ gewesen sein (Rz 64; vgl auch 3 Ob 121/23 z).

Anstelle abermals mutig Pflöcke einzuschlagen, wie mit 10 Ob 2/23 a, etwa auch bei der Höhe des Schadenersatzes, führt 10 Ob 27/23b insofern zu ausuferndem Verfahrensaufwand. Der Bekl, die sich auf entschuldbaren Rechtsirrtum nur unsubstantiiert berufen hat, nämlich ohne dessen strenge Voraussetzungen in der stRsp (10 Ob 27/23 b Rz 34) zu deklinieren, nach langem Prozessverlauf im Jahr acht (!) seit Beginn der Dieselklagen noch einen Beweis im fortgesetzten Verfahren zu gestatten, den sie nicht angeboten hat und nach ihrem bisherigen Prozessverhalten nicht einmal anzutreten gewillt ist, bleibt zB weit hinter der straffen prozessualen Handhabe der Beweisregeln in 1 Ob 149/22 a zurück.

Folge-Entscheidungen werden wohl die Prozessförderungspflicht der Bekl (RS0123614) stärker in den Blick nehmen.

 

Aus: Zeitschrift für Verbraucherrecht, Wien, 05/2023, 177ff

Allgemeines Verbraucherrecht OGH 28. 9. 2023, 10 Ob 27/23 b, VW-Dieselskandal; Schadensberechnung; Geldersatz; Schadensschätzung; Beweislastumkehr; Schutzgesetzverletzung; Verbotsirrtum; Verschulden; Rechtsirrtum, VbR 2023/120, § 1293ff, 1298, 1311 ABGB; Art 5 Abs 2 Typgenehmigungs-VO (EU) 715/2007; Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46; § 273 ZPO; § 2 ABGB