Angenommen, ich bin ein Autoentwickler und habe bei Dieselmaschinen das gemacht, was alle machen. Na gut, da gibt es schon lange diese EU-Verordnung, die mir Abschalteinrichtungen grundsätzlich verbietet. Aber die nennt doch Ausnahmen! Ich habe jahrelang darauf vertraut, dass diese komischen Umweltorganisationen von den Behörden und von der Politik, wo wir unsere Leute sitzen haben, eh nicht gehört werden - dafür ist das alles auch viel zu kompliziert, sowohl technisch als auch rechtlich. 

Aber dann platzt die Bombe in den USA, wo der VW Konzern auch noch zugibt, in 11 Millionen Motoren ein defeat device eingebaut zu haben. Die Behörden sind natürlich sauer, dass sie ausgetrickst wurden. Untersuchungen sind die Folge, empfindliche Strafen drohen, und auch wir müssen uns schleunigst etwas überlegen, technisch und juristisch.

Technisch bauen wir auf das Thermofenster, denn meine Juristen sagen mir: „Das ist ja noch nicht ausjudiziert, was alles unter die erlaubte Ausnahme fällt. Und bis es in vielen Jahren ausjudiziert ist, war unsere Strategie jedenfalls zulässig. Wenn es schiefgeht, sagen wir halt, wir haben das vorher nicht wissen können und befanden uns in einem Rechtsirrtum“.

Anfangs haben die Gerichte auch dieses Märchen geglaubt (wieso „auch“? Weil sie der Industrie viele Märchen geglaubt haben, u.a. auch das Erstgericht in der vorliegenden Klage gegen die F* S.p.A., *, Italien: „Zwar sei das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung. Jedoch hätten die Kläger keinen Schaden, weil sie das Fahrzeug uneingeschränkt nutzen könnten“. Das war aber ein folgenschwerer Gerichtsirrtum).

Jetzt wurde die Entscheidung OGH 4 Ob 119/23p veröffentlicht, die einmal diesem Märchen - "Wir können doch nichts dafür, wir haben geglaubt, das darf man" - auf den Grund geht. Noch einige Monate zuvor hatte der zehnte Senat so ein exkulpierendes schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit der behördlichen Entscheidung zu 10 Ob 27/23b für schon möglich gehalten – und die Rechtssache an die Untergerichte zurückverwiesen. Die sollten mühselig klären, ob ein entschuldbarer Rechtsirrtum (der zur Klagsabweisung führen müsste) vorliegt.

Das Wohnmobil weist einen Dieselmotor der Abgasklasse Euro 6b auf. Der Motor ist mit einem Abgas‑ bzw NOx‑Reduktionssystem ausgestattet. Bereits 22 Minuten nach einem Motorkaltstart wird jedoch die Abgasrückführrate drastisch gesenkt und zwar schon bei Temperaturen knapp unter 20° C, insbesondere aber bei Temperaturen geringer als 10° C. Dies passiert ohne Unterscheidung zwischen Prüfzyklus und Realbetrieb. Das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt sieht darin eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil es lediglich dem Bauteilschutz (und nicht dem Motorschutz; Anm.) diene. Zusätzlich wird die Abgasrückführung temperaturgesteuert unter 20° C Umgebungs- bzw Außentemperatur massiv reduziert (sogenanntes Thermofenster). Die Verwendung eines Thermofensters entsprach und entspricht bei Euro5 und Euro6 Fahrzeugen dem Stand der Technik.
 
Die Beklagte argumentierte, dass selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung kein Rechtsmangel sei, insbesondere weil die erteilte Typengenehmigung im zuständigen Mitgliedstaat Italien rechtsbeständig sei. Für den OGH war aber „nicht erkennbar, welche Relevanz diese Einordnung hier haben könnte.“ Und jetzt kommt’s:

Schließlich berief sich die Beklagte auch noch auf ihr fehlendes Verschulden an der Schutzgesetzverletzung zufolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums. Sie habe zum Zeitpunkt der Übertretung mangels gegenteiliger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zumindest vertretbar (vulgo: „würden doch alle so machen“; Anm.) davon ausgehen dürfen, dass die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einzuhalten seien. Dazu findet der OGH klare Worte:

Der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, spricht ohne Vorliegen besonders rücksichtswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums. Die Rechtsansicht der Beklagten zu Emissionsgrenzwerten ist schon deswegen nicht vertretbar, weil sie sich nicht mit den Zielen der VO 715/2007/EG in Einklang bringen lässt, die ausdrücklich in den Erwägungsgründen genannt werden: zB ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, das Senken der Emissionen von Kraftfahrzeugen und die Verringerung der Emissionen von Partikeln und Ozonvorläuferstoffen wie Stickstoffoxid und Kohlenwasserstoff, die Verbesserung der Luftqualität. Sie widerspricht außerdem Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EU, der lautet: „Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.“ Selbst ohne den Normzweck und ohne diese Vorschrift wäre nicht nachvollziehbar, wieso die Beklagte annehmen hätte dürfen, dass sie das ausdrückliche Verbot von Abschalteinrichtungen in Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG nicht beachten hätte müssen.

Geht es noch klarer? Anders als die allzuoft tollpatschigen Erstgerichte lässt sich der OGH natürlich nicht austricksen.